Taissa Iwanowa-Glikman
Mit den Augen eines Künstlers

 

Wenn man die Bilder von Gabriel Glikman betrachtet, hört man unweigerlich Musik. Der Betrachter vernimmt sie unabhängig davon, ob es sich um ein Porträt eines Musikers handelt (und solche Bilder sind sehr zahlreich), ein Landschaftsbild oder ein Frauenbild. Die Werke von Gabriel Glikman sind immer musikalisch. Das wird überall deutlich: in dem Farbgamma, in der Komposition, in den Rhythmen des Bildes. Und das ist nicht wirklich verwunderlich - schließlich war die Musik, nach der Malerei, die zweite große Leidenschaft von Gabriel Glikman. Er malte seine Bilder oft, während in seinem Atelier die Musik Mozarts, Beethovens, Skrjabins oder Schostakowitsch' lief. Der Künstler sprach ständig von der engen Verbundenheit zwischen Malerei und Musik. Es wurde schon zu seinen Lebzeiten zur Tradition, dass seine Ausstellungen zusammen mit großen Musikfestivals stattfanden. Während im Konzertsaal die Werke von Tschaikowski, Chopin, Schubert, Prokofjew und Schönberg erklingen, hängen im Foyer Glikmans Porträts dieser Komponisten aus.

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Eine besondere Stellung in der Reihe der Musikantenbilder nimmt eine Serie von mehreren Dutzend Bildern und Skulpturen ein, die dem Werk und Schicksal Dmitrij Schostakowitsch' gewidmet ist. Das ist auch eine Art Geschichtsschreibung, ein Studium des musikalischen Nachlasses des großen Komponisten, den Gabriel Glikman persönlich gut gekannt hat.

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In den über 20 Jahren, die Gabriel Glikman in Deutschland verbracht hat, ist sein eigenwilliger und unnachahmlicher Stil zu voller Reife und Vollendung gelangt.

Das war die Folge sowohl der ganz besonderen Atmosphäre in München, die dem Künstler den freien Atem der Inspiration schenkte, aber auch unzählige Ausstellungen in der ganzen Welt haben dazu beigetragen - und nicht zuletzt der Erfolg. All das führte zu einer rasanten Entwicklung künstlerischer Projekte, Experimente und deren Realisierung. Die Kritik hat oft genug hervorgehoben, dass Glikmans Werk in eigenwilliger Art und Weise alle wichtigsten Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts spiegelt und weiterentwickelt. So hat sich ein eigenständiger Stil herausgebildet: er ist stets abwechslungsreich und unerwartet, er scheint jederzeit neu zu sein - und ist doch unverkennbar. Immer und überall erkennt man Gabriel Glikman...

Da haben wir seine Bilder vor uns. Alles ist überraschend originell, kühn und ausdrucksstark, es ist schön - ohne geschönt zu sein! - und gleichzeitig disharmonisch, klar und rätselhaft zugleich, spielerisch - und doch voller Ernst!

Dieser ganze gewaltige Abwechslungsreichtum birgt etwas Geheimnisvolles, Unausgesprochenes in sich, das den Beschauer zum Mitdenken, Miterleben aufruft. Und noch etwas: Der Künstler steckt uns durch die Kraft seines Talentes, durch die Suggestion seiner Vision gleichsam an, und wir sehen bisweilen die von ihm kreierten Menschen und die von ihm geschaffene Welt auch im reellen Leben mit den Augen des Malers.

zum Vergleich mit Nordquist zum Vergleich mit Nina Schneider

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Glikmans Frauenporträts sind wohl der interessanteste Aspekt seines Schaffens. Mehr als einmal hat der Künstler seiner Meinung Ausdruck verliehen ...
"Die innere Welt der Frau erinnert mich an eine Reflexion in einem schnell dahinfließenden Bergbach - eine Reflexion, die sich beständig ändert, verschwindet und erneut erscheint ..."

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"Die geistige Geschichtsschreibung Russlands" ist eine Gemäldereihe der wichtigsten Kulturschaffenden Russlands... . Der Künstler selbst sagte mehrmals darüber: "Das Wichtigste an diesen Menschen und ihrem Werk ist der Geist, die hohe Geistigkeit, die in ihnen vorherrschte, was so typisch für Russland ist. Und genau das versuchte ich mit der Sprache der Farben, der Linien, der Komposition und des Rhythmus auszudrücken ..." In dieser Bildreihe von Glikman sind Gemälde von Puschkin, Lermontow, Gogol, Mussorgskij, Dostojewskij. Zwei Dostojewskij-Denkmäler stehen in deutschen Städten, in denen der große Schriftsteller häufig zu Gast war - in Baden-Baden und Wiesbaden.

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...Gabriel Glikman erinnert sich, dass die Ausreise aus Russland ein tragischer Weg ohne Wiederkehr war, aber ... "ich bin von dort geflohen, angelockt von dem Geist der Freiheit, einer geistigen und physischen Freiheit, die allen in der UdSSR wie ein irreeller Traum schien und nur heimlich in den Seelen der Menschen existierte."

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Aber es war nicht nur das russische geistige und künstlerische Leben, das Gabriel Glikman bewegt hat. Die westliche Kunst und besonders die Kunst in Deutschland, wo er nun lebte, war eine Quelle für zahlreiche Porträts, die man auch als "geistige Geschichtsschreibung" bezeichnen kann. Darunter sind Porträts von Rilke, Kant, Shakespeare, Rembrandt, Kafka, Einstein, Cezanne und vielen, vielen anderen ...

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Das Gesicht des Malers auf seinem Selbstbildnis von 1939 drückt eine unbestimmte und einzige Leidenschaft, das wichtigste Ziel im Leben - das in jenen Jahren noch vor ihm lag - aus: mit den Augen des Künstlers die Welt, die Menschen, Russland in seiner ganzen Geschichte wiederzugeben. Die Schönheit und Tiefe der menschlichen Seele zu begreifen und davon auf Leinwand, in Grafiken, in Bronze oder Marmor zu erzählen ...

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In seinen letzten Arbeiten taucht plötzlich etwas Neues: auf viel Nachdenklichkeit, Trauer, etwas Unausgesprochenes, und gleichzeitig ist es die Summe all seines Suchens, ein letztmögliches Hinabtauchen in die Tiefe der Schicksale und Charaktere.

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Und hier eine der letzten Arbeiten des Meisters: es ist ein Frauenbildnis -"Apokalyptische Vision". In ihren Augen erstarrter Schrecken. Es ist die Gestalt einer Frau, die mit starrem Blick den herannahenden Tod beobachtet. Das ganze Bild ist überflutet von der unheilvollen Röte eines Feuers. Verzweiflung und Leid. Diese Empfindungen trifft man häufig in Glikmans Werk. Aber hier sind sie mit letztmöglicher Konzentriertheit und Kraft gestaltet: ein Gipfel der Vollendung. Was ist es? Vorgefühl der Katastrophe? Aufblitzen der Intuition eines großen Künstlers? Es ist eine Vision. Dieses Bild einer globalen Katastrophe bleibt unauslöschlich in unseren Augen und Herzen...

 

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