Nina Schneider, M. A.
Gabriel Glikmans Werk aus kunsthistorischer Sicht

 

"Ich kenne und schätze von ganzem Herzen die Arbeiten von G. Glikman. Vielen von ihm dargestellten Menschen stand ich persönlich nahe; darunter S. Prokofjew, D. Schostakowitsch, E. Mrawinskj, I. Strawinskij, S. Richter und viele andere. Mich beeindruckt in seinen Porträts die Darstellungskraft der Innerlichkeit der von ihm abgebildeten Persönlichkeiten. Ich freue mich darüber, dass G.Glikman jetzt im Westen frei seinen Weg des künstlerischen Schaffens weitergehen kann. Ich bin davon überzeugt, dass er ein hohen Rang in der glänzenden Schar der russischen Maler einnehmen wird, welche gezwungen waren ihre künstlerische Laufbahn außerhalb ihrer Heimat fortzusetzen, wie z. B. Kandinsky und Chagall. Es bürgen dafür seine jung gebliebene Energie und sein hohes Talent."

Mstislaw Rostropowitsch

Dezember 1980

 

Schon im Alter von sieben Jahren schuf der russische Künstler Gabriel Glikman, inspiriert von der Fotografie einer Sokrates-Büste, seine erste Skulptur aus Ton. Jahre später besuchte er die Leningrader Kunstakademie und studierte Malerei, Grafik und Bildhauerei. Sehr schnell wurde er als Bildhauer bekannt, und seine Skulpturen aus Marmor und Bronze zieren auch heute noch Straßen, Plätze und Gebäude in Moskau, St. Petersburg und vielen anderen russischen Städten. Seine Malerei jedoch fand keine Anerkennung.

Das kommunistische Regime verbot ihm die öffentliche Zurschaustellung seiner Bilder, da sie deren inhaltlichen Wert nicht akzeptierten und vor allem Glikmans Art der Gestaltung nicht der staatlich bestimmten Ästhetik entsprach. ...

Weshalb Gabriels skulpturales Oeuvre die Zustimmung der Regierenden fand, ja sogar rege Unterstützung durch zahlreiche Aufträge erhielt, seine Malerei dagegen als nicht vorzeigbar abgestempelt wurde, bedarf einer Erklärung.

Ungefähr gegen Mitte der 20er Jahre erschöpften sich die Kräfte des Konstruktivismus, eine zumindest zeitweise dominierende Kunstrichtung der russischen Avantgarde, mit den Hauptprotagonisten Wladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko und EI Lissitzky. Schon seit längerem hatte ein stark realistisch gefärbter Stil die Tradition russischer Malerei beeinflusst. Diese Entwicklung gipfelte im Sozialistischen Realismus, eine ästhetische Doktrin, die von Stalin 1934 zum offiziellen Staatstheorem erklärt wurde. Ursprünglich für die Literatur formuliert, galt die Doktrin in der Folgezeit auch für die bildende und darstellende Kunst und die Musik. Dem Künstler wurde von nun an abverlangt nur mehr "die wahrhafte, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung" zu konkretisieren. Erlaubt war also ein leicht gewandelter, akademisch-realistischer Stil. Trotz gewisser Lockerungen nach dem Tod Stalins 1953 blieb das Postulat in seinen Grundzügen bis hinein in die 80er Jahre bestimmend.

In gewissem Sinne schien das bildhauerische Werk Gabriel Glikmans dieser Auffassung von Kunst zu entsprechen, ohne jemals bewusst ihren Prinzipien zu folgen. Seine oft auch ins monumentale gehenden Porträts, die primär in der russischen Öffentlichkeit zu finden waren und sind, orientieren sich zumeist an dem tatsächlichen Erscheinungsbild des Dargestellten und erfüllten damit die Forderung nach der realen Abbildung.

Erst die späteren, bereits im Westen geschaffenen Skulpturen, die oft schon im Format wesentlich kleiner ausfallen und sich auch dadurch von ihren russischen Vorgängern unterscheiden, zeigen Abweichungen von der realen Darstellung. Beispielhaft dafür steht die aufsehenerregende Bronze des Beethoven. Der vertikale Rücksprung mitten durchs Gesicht ist ein deutlich abstraktes Stilmittel. Das Hauptanliegen des Künstlers scheint nicht die getreue Wiedergabe des Musikers zu sein. Vielmehr geht es ihm um die Verschmelzung des Porträts mit der Sichtbarmachung des Wesens und der bildhauerisch umgesetzten Darstellung der Musik des Komponisten. In diesem Sinne verkörpert der harte Schnitt die innere Zerrissenheit des musikalischen Genies und das wahrhaft bewegende, einschneidende Erlebnis seiner Musik.

Aus der ersten Schaffenszeit Gabriel Glikmans ist kaum mehr etwas erhalten. Etliche Werke kamen in der stalinistischen Schreckensherrschaft und den folgenden Kriegsjahren abhanden. Diesen misslichen Umständen zum Trotz existiert heute noch ein kohlegezeichnetes Selbstporträt aus den dreißiger Jahren. Das Bildnis entstand vor dem Krieg als Glikman auf der Akademie studierte. Die Ecken der Zeichnung wurden während der Leningrader Blockade von Ratten angefressen. Nicht nur der äußere Zustand zeigt Spuren der Epoche, auch die traurig-leidvollen Züge des jungen Künstlers scheinen ein Spiegelbild des Zeitgeschehens zu sein. Mit der sich zunehmend entspannenden politischen Situation nach dem Tod Stalins konnte Gabriel sich mehr und mehr der Malerei widmen.

Die Werke der frühen Schaffenszeit, hinein bis in die 70er Jahre weisen stets wiederkehrende Stilelemente auf. Der Farbauftrag ist sehr zurückhaltend gewählt, oftmals so vorsichtig gesetzt, dass der Malgrund hindurch schimmert. Fast scheint es, als zolle der Künstler auf diese Weise dem Medium Leinwand seinen Respekt. Eine Steigerung des Verfahrens verkörpert der gänzlich sichtig belassene Hintergrund, wie ihn einige der Frauenporträts, und Akte, ebenso die frühen Musikerporträts aufweisen. In den 80er Jahren gewinnt die Freude des Künstlers mit dem Spiel der Farben zunehmend an Bedeutung. Der Pinselstrich, zu Beginn stark aus dem Metier der Zeichnung entliehen, verliert seine Skizzenhaftigkeit und wird malerischer. Die bis dahin oft sehr kräftigen Umrisszeichnungen treten zu Gunsten einer flächigeren Malweise in den Hintergrund. Der Farbauftrag wird großzügiger und opak auf die Leinwand aufgelegt. Die 90er Jahre bringen, sofern man überhaupt eine Einteilung in Dezennien wagen darf eine Intensivierung der benannten Entwicklungen.

Ein übergreifendes Motiv seiner Bilder zeigt sich in den Personendarstellungen, die von Anbeginn sehr feingliedrig, meist etwas überlängt erscheinen und damit fast manieristische Tendenzen annehmen. In diesem Kontext sei besonders auf die zahlreichen Frauenporträts hingewiesen, mit ihren hochgewachsenen Hälsen und den zerbrechlich wirkenden, filigranen Händen. Ein weiteres Stilelement ist der Verzicht auf Dreidimensionalität. Der Künstler bleibt mit dem jeweiligen Motiv in der Fläche, er verzichtet auf die Andeutung von Räumlichkeit. Ein davor oder dahinter existiert demnach nicht.

Die flächige Malweise wird zusätzlich unterstrichen durch die Beschaffenheit des Grundes. Fast ausnahmslos ist der Hintergrund einfarbig gehalten, oder wie in den frühen Gemälden gänzlich unberührt belassen, wodurch dem Betrachter kein realer Raum des Geschehens vorgegeben wird. Der Künstler scheint indess bewusst die illusionistische Raumwiedergabe zu negieren, um das Auge nicht vom Wesentlichen, dem Vordergrund, abzulenken.

zum Vergleich mit Nordquist zum Vergleich mit Taissa Iwanowa-Glikman

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Ein Künstler ist immer in die zeitgenössische Kunstszene eingebunden, und so ist auch Glikman den künstlerischen Traditionen des 20. Jahrhunderts verhaftet. Unweigerlich sucht man in seinen Arbeiten nach Verbindungen und Einflüssen. War es der Stil der Surrealisten, der Existentialisten oder der Avantgardisten, der in seinem Werk Spuren hinterließ? Zu keiner dieser Kunstrichtungen mag sich Gabriel ausdrücklich bekennen, doch er lehnt sie auch nicht ab. Er versucht sich des Wichtigen und Bedeutenden der jeweiligen Strömung zu bemächtigen und es nach eigenen künstlerischen Gesetzen zu einem Neuen zusammenzufügen.

Neben der ungeheuren Menge von Porträts tauchen in geringer Zahl Landschaftsbilder und gegenständliche Kompositionen auf. Man mag sie als zusätzliche, sein eigentliches Thema vervollständigende Motive empfinden. Eine Ausnahme macht jedoch die Gruppe der jüdischen Bilder. Aus diesem Zyklus stammt beispielsweise das Gemälde "Der jüdische Schneider". Das Porträt wirkt durch seinen zarten Farbauftrag fast wie ein Pastell und besitzt dennoch enorme Ausdruckskraft. Auf seltsame Weise verbindet sich hier eine lebendige Typendarstellung mit rein dekorativen Formen.

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Eine weitere Gruppe bilden die unzähligen Darstellungen von Musikern. In seiner Heimat kannte Glikman etliche von ihnen persönlich, Prokofjew, Strawinskij, David und Igor Oistrach, Swjatoslaw Richter und Mstislaw Rostropowitsch und viele andere. Durch seinen Bruder, der ebenfalls Musiker war lernte er Schostakowitsch kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Genauso wurden von ihm auch die Komponisten der Vergangenheit von Bach bis Schönberg festgehalten. "Die Musik ist meine Leidenschaft", sagt Glikman und bedauert bisweilen, dass er kein Musiker geworden ist. Musik hat für ihn deshalb einen solch hohen Stellenwert, da sie seiner Ansicht nach die einzige Ausdrucksform neben der Malerei ist, die derart tiefgreifend über die menschliche Seele erzählen kann. Und nichts fasziniert ihn mehr als diese zu enträtseln, was ihm zweifellos auf überzeugende Art gelingt.

Juli 2000

 

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