Peter Schmidt
Gabriel Glikman und die Musik
Ein Interview mit dem Maler und Bildhauer

 

Es hat sich so ergeben, dass mein ganzes Schaffen, gar mein ganzes Leben sehr tief und eng mit der Musik verbunden sind. Und diese Verbindung ist keinesfalls äußerlich. Es geht natürlich nicht nur darum, dass ich viele Porträts von Komponisten und Musikern gemalt habe. Unter ihnen waren etliche meiner Zeitgenossen die ich gut kannte und auch Musiker aus anderen Epochen und Ländern.

Einmal sagte ein guter Freund von mir, der bekannte Dirigent Evgenij Mrawinskj: "Wissen Sie, ihre Bilder sind sinfonisch, das heißt, sie sind vielstimmig. Sie sind polyphon in ihren Themen, Gestalten, Gedanken, malerischen Kombinationen und Rhythmen. Jeder dieser Bestandteile existiert selbstständig im Bild, und sie ergeben zusammen eine ganze, von Musik erfüllte Materie!" Es wäre schön, wenn er recht hat. Auf jeden Fall ist eine solche Verbindung zwischen Malerei und Musik immer mein Hauptziel gewesen.

Lassen sie mich ein paar Beispiele nennen: Wir waren alle in unserer Jugend von Vinogradovs Buch über Paganini begeistert, lasen "Die Florentinischen Nächte" von Heine, wo dieser geniale Musiker beschrieben wird. Das Bildnis des Paganini inspirierte solche Maler wie den grandiosen Delacroix und den feinen Ingres, aber auf ihren Bildern ist Paganini nicht mehr als ein kleiner Strassenmusikant oder ein reinlicher Artist auf der Bühne. Aber wo blieb das Dämonische? Wie äußern sich die teuflischen Anfänge Paganinis? Gerade das wollte ich in meinen Porträts, von denen ich einige gemalt habe, zeigen. Ich habe nicht darüber zu urteilen, ob sie gelungen sind.

In der Welt der Malerei existieren zahlreiche Abbildungen von Musikern, Musikinstrumenten, wie z. B. bei Edgar Degas mit seinen Orchestern, oder bei Adolf v. Menzel. Im Endeffekt ist die Musik hier nicht mehr als ein Herstellungsprozess. Aber die Musik kann in der Malerei auch ohne diese Komponenten klingen!

Ich erinnere mich, wie ich in der Eremitage jedes Mal vor den Abstraktionen Kandinskys stehen blieb, und ihre Musikalität bewunderte. Sie äußerten sich in der Zusammensetzung der Farben, dem kompositorischen Aufbau und den Rhythmen. Und genau so ist, meiner Meinung nach, die tiefe Verbindung zwischen Malerei und Musik.

Ein paar Worte über mein Vivaldi-Porträt. Sein Zeitgenosse stellte ihn als einen zärtlichen, netten Schönling mit Locken dar. Ich betrachte dieses Bild, höre die Musik von Vivaldi und denke mir: "Nein, der Mensch, der auf diesem Bild abgebildet ist, kann solche Musik nicht geschrieben haben!" Auf meinem Bild ist Vivaldi ein rothaariger, stürmischer Pastor, der von der Inspiration ergriffen ist. Er betete in der Kirche, und eilte danach nach Hause, um die Melodien aufzuschreiben, die ihn erfüllten. Ich zog Vivaldi einen schrecklichen, merkwürdigen Hut auf. Rot, mit einem Feuerblick, ist Vivaldi von Musik erfüllt. Die gelbe, grüne, rote Farbgamma klingt musikalisch. In ihr höre ich halb eröffnete Andeutungen, gleitende Intonationen, ergreifende Rhythmen.

Ich habe viele Male Porträts von Mozart gemalt. Ich liebe diesen Komponisten sehr. Aber hier entstehen immer Schwierigkeiten. Einmal sagte mein Lehrer in der Kunstakademie zu mir: "In der Kunst sind einige Punkte gesetzt, um die man schwer herum kommt. Von denen man wegtanzen muss. Kann man einen Bogenschützen abbilden, nachdem Bourdell ,Herkules, der Bogenschütze' erschaffen hat? Kann man nach Rodin ,Balzac' zeigen?" Ich ergänze: kann man nach dem Porträt Langes, das Mozart im Profil zeigt, eine andere Lösung der Darstellung des großen Musikers erfinden?

Ich habe es oft versucht, wobei ich mich nicht auf die Ähnlichkeit stützte, sondern in den malerischen und rhythmischen Aufbauten des Porträts ein Äquivalent zur Musik Mozarts suchte: eine Kombination aus Harmonie und Fragmenten von Rezitativen, die entstehen und wie der verschwinden.

Mit Igor Strawinskij traf ich mich vor langer Zeit in Leningrad, sprach mit ihm und zeichnete ihn. Seinerzeit machte Picasso eine ausgezeichnete Zeichnung von ihm, und stellte den Charakter von Strawinskij als hart und geizig da. Ich zeigte Strawinskij - und das mehrfach - ganz anders, und stritt mich auf diese Weise mit Picasso. Mein Strawinskij ist barfuß, abgemagert, mit dem dünnen Hals eines Greises; ein Bettler, der sich auf seinen Stock stützt. Ein Mensch, der auf den ersten Blick alles erreicht hat, aber in Wirklichkeit nichts erreicht hat, ein Bettler, der sich der letzten Grenze nähert. Die Sicht - die rein subjektiv ist - legte mir die Musik Strawinskijs nahe, der das fehlt, was meiner Meinung nach das Wichtigste ist: geistige Erhabenheit. Und die Malerei in meinen Strawinskij-Porträts ist hart, trocken, aggressiv in ihren malerischen Tönen.

Vom großen Bach blieben keine Abbildungen: keine Totenmaske, keine Porträts. Er war zu arm und überhaupt nicht berühmt. Ich malte ein großes Bild des genialen Komponisten, und versuchte in meiner Malerei die Größe und Würde seiner Choräle und die harte Geometrie seiner Kompositionen wiederzugeben. Denn Bach bediente sich vieler Elemente von Vivaldi, zwängte aber das melodische Überschäumen des letzteren in ein geometrisches Quadrat.

Einmal besuchte mein Atelier Swetlana Aliluewa, die Tochter Stalins, der damals bereits tot war. Sie war eine hochgewachsene Frau, in einer grünen Kordjacke, mit Söckchen und abgewetzten Schuhen auf ihren dünnen Beinen. Sie hatte ein verwirrtes Gesicht, bleiche Haut, rötliche Locken und trübe graue Augen, die gleichzeitig auch etwas vom Vater hatten.

Sie war aufmerksam und wortkarg, und ich war auch nicht wirklich gesprächig, weil ich sofort fieberhaft ihr Bild zu malen begann. Ich verspürte eine riesige Anspannung, ein besonderer, urgewaltiger, fast musikalischer Rhythmus klang in mir. Ich hatte das Porträt sehr schnell gemalt und kam erst wieder zu mir, als Alilueva leise sagte: "Nun haben sie mich völlig vernichtet!"

Dann fing ich an, das soeben fertiggestellte Bild zu betrachten. Ich versetzte die Figur stark an den Rand des Bildes. Ich verschränkte die Arme und Beine-es entstanden zwei Kreuze. Der Kopf war eingezogen, die Hände an die dürren Schultern gepresst. Auf den unberührten Hintergrund des Bildes zeichnete sich das Gesicht hervor, voller Verwirrung, und die mystisch unterstrichenen Beine in irgendwelchen fantastischen Schuhen. Von dem Bild gingen harte, kratzende Töne aus, eine Mischung aus Disharmonien und der wehleidigen Stimme eines einsamen Fagotts. Diese Musik hörte ich in mir die ganze Zeit, als ich das Bild schuf.

Ich erinnere mich gut an meine Kindheit, an unser jüdisches Dorf, an die jüdischen Schneider, die mit ihren Bügeleisen auf den Tischen saßen. Sie schunkelten und sangen ununterbrochen.

Mein Porträt "Der Schneider" ist ein Sammelbild, die Frucht jahrzehntelanger Beobachtungen. Es ist einfach in den Farben, fast ohne Hintergrund: der Schneider ist barfuß und der Fußnagel des großen Zehs ist deutlich gemalt. Das gesamte Abbild ist von einem voluminös räumlichen Gebilde umhüllt, das nochmals die Stimmung des Bildes unterstreicht. Der grazile Torso des Schneiders hat keine Schultern. Die rechte Hand ist hochgehoben und hält die klirrende Schere, die den einfachen Takt des unkomplizierten Lieds des Schneiders zu schlagen scheint. Und wie eine Begleitung zum Lied ist auch der rote Stoff auf den Knien. Es scheint, als ob die leichte Figur des Schneiders sich geschmeidig zur Musik hin und her wiegt, und die Musik, langgezogen und eintönig, durchdringt die gesamte Gamma des Bildes.

Einmal sagte man mir, dass es genügt, in einem großen Raum über einem geöffnetem Flügel mein Porträt von Mstislaw Rostropowitsch zu hängen, um eine klare Lösung des gesamten Interieurs zu bekommen. Ich habe oft die Richtigkeit dieser Behauptung überprüfen können. Das Porträt von Rostropowitsch hat eine lange Geschichte. Ich kenne diesen herausragenden Musiker seit langem, habe oft sein virtuoses Spiel gehört, habe viele Entwürfe und Zeichnungen gemacht. Und dieses Bild entstand im Lauf von vielen Jahren.

Die geometrisch aufgebaute Figur Rostropowitschs ist fest verankert - das Porträt ist sehr einfach in seiner Malerei: der Kontrast zwischen Rot und Schwarz. Als ein Fotograf eine Reproduktion des Porträts anfertigte, hängte er das Bild vor einen schwarzen Hintergrund, und das Bild gewann an Härte und wurde der Alten Malerei ähnlich. Der Kopf auf dem Rostropowitsch-Porträt ist erfunden, erfunden sind auch die Hände. Es sind keine Finger, sondern Tasten, und diese Tasten spielen.

In seiner Klarheit, Konstruktion und seiner lakonischen Ausdruckskraft ist das Bild auf der einen Seite dem Quadrat von Malewitsch ähnlich, auf der anderen Seite den Bildnissen der alten Chinesischen Kaiser. In einem Interview sagte Rostropowitsch, dass er auf seinem Porträt von Dali in Form von Strichen dargestellt ist, und auf dem Porträt von Glikman das Cello sein Bauch ist. Wenn man vor Augen führt, dass auf altrussisch "Bauch" auch "Leben" bedeutet, folgt daraus, dass für Rostropowitsch das Leben und die Musik dasselbe sind. Und darin besteht die Bedeutung des Bildes, das aus der Musik geboren wurde, und das Musik ausstrahlt.

Juli 2000

 

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