Rainer Landeck
Gabriel Glikmans Wurzeln

 

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... Er entzieht sich der offiziellen Kunstdoktrin durch die Flucht in eine Art innere Emigration. Schaffenskraft und Inspiration erhält Glikman im pulsierenden Leben der Stadt Leningrad. Intellektuelle, Künstler und Musiker besuchen oft sein Atelier. Er bewegt sich in einem Kreis, in dem sowohl Komponisten und Dirigenten als auch so bedeutende Dichter und Schriftsteller wie Tolstoi und Achmatowa verkehren. Überhaupt spielt die Musik im Leben von Gabriel Glikman bis heute eine entscheidende Rolle. In einem Interview sagt er: "Es hat sich so ergeben, dass mein ganzes Schaffen, gar mein ganzes Leben sehr tief und eng mit der Musik verbunden sind. Und diese Verbindung ist keinesfalls äußerlich." Aus dieser Verknüpfung zwischen Malerei und Musik entstehen eindrucksvolle Porträts großer Musiker der Vergangenheit. Aber Gabriel Glikman hält auch seine Musikerfreunde wie Prokofjew, Strawinskij, David Oistrach, Swjatoslaw Richter, Rostropowitsch und vor allem auch Dimitri Schostakowitsch im Bild fest. Viele dieser Porträts werden aus Glikmans Liebe und Nähe zur Musik geboren und strahlen selbst Musik aus.

Über die kreativ künstlerischen Begegnungen hinaus, konnte sich Glikman der großen historischen Begebenheiten nicht entziehen: "Es war gerade der Krieg mit Deutschland ausgebrochen, also der 22. Juni 1941. Alle meine Bekannten und Freunde der Akademie waren als Soldaten an der Front. Bei derartigen Einsätzen sind sehr viele Menschen schwer verwundet worden oder gar umgekommen, ... ."

Glikman erinnert sich: "Einen Monat nach Kriegsbeginn erhielt ich ebenfalls einen Brief, dass ich mich dort in zwei Tagen zu melden hätte. Am nächsten Tag bin ich dann wie gewöhnlich in das Museum der Bildhauer-Akademie gegangen. Hier standen viele Figuren der Antike: Apollo, Hermes, Hera und viele andere wunderschöne Gestalten. Wir studierten immer von diesen Figuren. In einem dieser Räume fand ich schließlich ein Stück weichen Marmors. Ich stellte es auf einen kleinen Tisch, nahm ein scharfes Werkzeug und begann, den Kopf des jungen Schostakowitsch herauszuarbeiten. Nun kam mir wieder der Gedanke an den kommenden Tag, an dem ich mich zu melden hatte. Ich nahm einen harten Stift und ritzte an einer Seite das Wort "Fatum" ein. Damit meinte ich "Fatalismus", meinen Glauben an ein vorbestimmtes Schicksal, das mich ereilen wird und das ich hinzunehmen hatte." Der Künstler erinnert sich weiter: "Der Raum war schon fast dunkel, nur die letzten Sonnenstrahlen tauchten die kalte Marmorbüste in ein eigentümliches, orangefarbiges Licht: Nase, Mund, Haare und überhaupt das ganze Gesicht riefen in diesem Moment eine sonderbare Stimmung in mir hervor." Glikman fühlt damals eine tiefe Wehmut in sich als er den Raum verlässt. Dabei kommt ihm sein Wahlspruch in den Sinn:

"Ein Mensch ist nur ein Mensch." Er geht nach Hause und legt sich schlafen. Als er am anderen Tag Abschied nehmen muss, steckt ihm seine Mutter einen Löffel zu - einen von Krupp, der versilbert ist. Dabei sagt sie ihrem Sohn: "Ich geb dir diesen Löffel mit auf deinen Weg in den Krieg und du sollst mit ihm lebend und gesund zurückkommen. Darum bitte ich dich." Kurz nach dem Krieg kehrt Glikman nach Leningrad zurück, um seine Abschlussprüfung an der Kunstakademie zu machen. In der Folge arbeitet er trotz aller staatlicher Vorgaben sehr erfolgreich, ja man kann sagen: In Russland wird er berühmt.

Sein Atelier ist wieder ein Treffpunkt bekannter Theaterleute, Musiker, Schriftsteller und Diplomaten. Doch Glikmans Gedanken, seine Philosophie, seine Kunst bleiben dem sowjetischen Regime fremd. Denn er versucht sich, von der offiziellen Kunst- und Staatsdoktrin zu separieren. Seine letzte große Ausstellung in Leningrad 1968 führt zum Eklat. Er wird als ideologischer "Subversiver" gebrandmarkt, schließlich verbannt ...

Juli 2000

 

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